Weißbuch Gelenkersatz: „Patienten in Deutschland sehr gut versorgt“

Experten warnen vor Zunahme durch demografischen Wandel und raten zu vernetzten Behandlungskonzepten

Stabile Fallzahlen, hohe Indikationstreue, lange Standzeiten, weniger Infektionen: Die Behandlungsqualität von Knie- und Hüftgelenkersatz Operationen hat in Deutschland ein hohes Niveau erreicht. Erstmalig hat das IGES Institut dazu aktuelle Zahlen aus ihrem neuen Weißbuch Gelenkersatz veröffentlicht. 370.000 Patienten haben 2014 in Deutschland ein neues Hüft- oder Kniegelenk erhalten. Die Mehrzahl ist Befragungen zufolge mit dem Ergebnis zufrieden. Das Weißbuch bestätigt, dass neben dem Implantat auch Operateur und Patient selbst einen entscheidenden Einfluss auf den langfristigen Behandlungserfolg bzw. auf die Lebensdauer einer Endoprothese haben. Qualitätskennzahlen zeigen, dass Patienten im Bereich Gelenkersatz in Deutschland sehr gut versorgt werden. Die am Weißbuch beteiligten Experten warnen aber gleichzeitig vor den Herausforderungen der Zukunft, denn die Anforderungen an den Gelenkersatz werden mit der demografischen Entwicklung steigen. Sie fordern daher patientenorientierte und zwischen den Akteuren des Systems besser vernetzte Behandlungskonzepte. „Der Trend geht zu Kliniken, die dies frühzeitig erkannt und umgesetzt haben.“, erklärt Michaela Münnig, B. Braun Aesculap, Sprecherin des BVMed-Fachbereichs Endoprothetik und Implantate. B. Braun hat mit sieben weiteren Unternehmen aus dem BVMED die Erstellung des Weißbuches finanziell unterstützt. „Uns war es wichtig, durch ein anerkanntes, unabhängiges Institut Transparenz in der Versorgungslandschaft der Endoprothetik zu schaffen bzw. Fakten aufzuzeigen.“ Das in seiner Art erste Weißbuch zum Hüft- und Kniegelenkersatz in Deutschland liefert aktuelle wissenschaftliche Daten und begleitende Experteneinschätzungen.


Sinkende Komplikationsraten und zunehmend angemessene Indikation


Demnach zeigt die vorgeschriebene externe Qualitätssicherung für Krankenhäuser für das Jahr 2014, dass chirurgische Komplikationen während des Klinikaufenthaltes bei Ersteingriffen seit Jahren abnehmen. Sie kommen beim Hüft- und Kniegelenkersatz bei 2,7 bzw. 1,9 Prozent der Operationen vor. Zudem steigt seit Jahren der Anteil der Patienten, bei denen eine angemessene Indikation - ein medizinischer Behandlungsanlass - dokumentiert ist. Dies war 2014 bei rund 96 Prozent der Hüft- und Knieersteingriffe der Fall.


Stabile OP-Häufigkeiten bei älteren Patienten seit 2007


Im Jahr 2014 wurden dem Statistischem Bundesamt zufolge rund 219.000 Patienten erstmalig mit einem Hüftgelenkersatz und rund 149.000 mit einem neuen Kniegelenk versorgt. Sowohl für die Hüfte als auch für das Knie haben die OP-Häufigkeiten bei den über 70-Jährigen seit 2007 nicht zugenommen. „Wir sehen eine stabile Inanspruchnahme beim Hüft- und Kniegelenkersatz in den vergangenen Jahren. Jährlich erhalten ein Prozent der über 70-Jährigen ein neues Hüftgelenk und rund 0,7 Prozent ein Kniegelenkersatz“, sagt Prof. Dr. Bertram Häussler, Leiter des IGES Instituts.

Häufigste Gründe: Arthrose und gelenknahe Knochenbrüche

80 Prozent der Ersteingriffe an der Hüfte und rund 96 Prozent am Knie gehen auf meist altersbedingten Gelenkverschleiß zurück, also medizinisch Arthrose. Zweithäufigster Grund für Hüft-Operationen sind in 13 Prozent der Fälle Oberschenkelhalsbrüche, ebenfalls altersbedingt.  Rund 40 Prozent der Patienten sind bei einem Ersteingriff zwischen 70 und 79 Jahre alt.


Versorgung an immer ältere Patienten anpassen


„Immer mehr Menschen werden nicht nur immer länger, sondern auch immer aktiver mit einem Gelenkersatz leben. Hier bedarf es Anstrengungen, auch künftig die Versorgungsqualität zu sichern. Dazu gehört auch, Patienten gut aufzuklären und ihre Erwartungen mit den Möglichkeiten der jeweiligen Verfahren abzugleichen“, sagt Prof. Heiko Reichel, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU).
Auf die steigende Zahl mehrfacherkrankter Hochbetagter mit Schenkelhalsbrüchen weist Prof. Florian Gebhard, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), hin: „Wir werden künftig immer mehr ältere und multimorbide Patienten versorgen, die nach der Gelenkersatz-OP stark mobilitätseingeschränkt und pflegebedürftig sind. Für sie benötigen wir spezielle alterstraumatologische Zentren mit integrierten Behandlungskonzepten zwischen chirurgischen und geriatrischen Abteilungen sowie Rehabilitationseinrichtungen.“


Viele Faktoren beeinflussen die Lebensdauer von Endoprothesen


Ziel des Gelenkersatzes ist es, Schmerzen zu lindern und Patienten wieder Mobilität und aktive Teilnahme am täglichen Leben zu ermöglichen. Eine möglichst lange Lebensdauer einer Endoprothese ist dabei erstrebenswert. Diese sogenannte Standzeit hängt von vielen Faktoren ab: vom Lebensalter der Patienten beim Eingriff, dem Krankheitsbild, Begleiterkrankungen wie etwa Osteoporose, von Operationstechniken, aber auch von der individuellen Beanspruchung durch den Patienten oder den Materialien. Zu den häufigsten Gründen von Wechseleingriffen gehören Entzündungen, Verrenkungen oder Lockerungen der Kunstgelenke.


Genauere Daten dazu soll das 2011 initiierte Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) liefern. Es soll helfen, die Zahl der vorzeitigen Wechseleingriffe zu reduzieren und einen langfristigen Behandlungserfolg zu sichern. Die Experten fordern jedoch ein verpflichtendes Register, um diesem Anspruch gerecht werden zu können. Bislang ist die Teilnahme freiwillig.


Laut Statistischem Bundesamt wurden 2014 rund 27.000 implantierte Hüftgelenke und rund 21.000 künstliche Kniegelenke ausgewechselt. Die Anzahl der Wechseleingriffe eines Jahres steht nicht in Bezug zu den erstmalig implantierten Gelenken desselben Jahres. Vielmehr sind dies häufig Wechsel von Endoprothesen, die vor Jahren oder auch Jahrzehnten eingesetzt wurden.
 
Das „Weißbuch Gelenkersatz“ haben IGES-Wissenschaftler unter Einbezug renommierter Endoprothetik-Experten verfasst. Es entstand im Auftrag des Bundesverbandes Medizintechnologie e.V. (BVMed) und erscheint im Springer Verlag.
Das Weißbuch wird über einen Open-Access-Link bei Springer zum Download zur Verfügung stehen.

 

Das Weißbuch finden Sie hier